„Ãœber allen Wipfeln ist Ruh´…“

„Ãœber allen Wipfeln ist Ruh´…“ – nicht jedoch im ruhenden Arbeitsverhältnis (8/2012)

Entstehen von Urlaubsansprüchen während des ruhenden Arbeitsverhältnisses

Annett Stute, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Mit dem Begriff „ruhendes Arbeitsverhältnis“ ist ein Arbeitsverhältnis gemeint, das weiter Bestand hat. Es ist also nicht beendet. Lediglich die Hauptpflichten des Arbeitsverhältnisses brauchen während des „Ruhens des Arbeitsverhältnisses“ nicht erfüllt werden.

Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, dem Arbeitnehmer die vertraglich vereinbarte Beschäftigung anzubieten und diese zu vergüten und der Arbeitnehmer muss nicht die vertragsmäßige Leistung anbieten bzw. erbringen. Die Nebenpflichten des Arbeitsverhältnisses sind jedoch weiterhin zu erfüllen. (Linck in Schaub, 13. Auflage § 34, Rn. 86) Nebenpflichten im Arbeitsverhältnis sind z.B. gegenseitige Rücksichtnahmepflichten der Parteien, Verschwiegenheitspflichten hinsichtlich der Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, Unterlassen von Wettbewerb während des Arbeitsverhältnisses usw. Die Zeit des „Ruhens des Arbeitsverhältnisses“ vermindert nicht die Zeit der Beschäftigungsdauer.  (Linck in Schaub, 13. Auflage § 34, Rn. 86)

Damit wirkt sich das „Ruhen des Arbeitsverhältnisses“ auch nicht auf die Wartezeiten nach dem Bundesurlaubsgesetz und des Kündigungsschutzgesetzes aus. Ob Ansprüche auf Sondervergütung/Gratifikationen auch während des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses entstehen, ist eine Frage der Individualvereinbarung bzw. von kollektiven Vereinbarungen. Hinsichtlich des Entstehens von Urlaubsansprüchen und deren Übertragbarkeit während des ruhenden Arbeitsverhältnisses gilt das im Weiteren noch dargelegte:

„Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses“ kann seine Rechtsquelle im Gesetz haben, z.B.

  • nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG), soweit keine Teilzeit im Rahmen des nach dem BEEG möglichen Umfanges in Anspruch genommen wird.
  • §§ 1, 10 Arbeitsplatzschutzgesetz (gilt für Wehrübungen bei der Bundeswehr)
  • nach § 1 Eignungsübungsgesetz

Das Ruhen des Arbeitsverhältnisses kann auch individualrechtlich oder kollektivrechtlich vereinbart werden. Die Vereinbarung des Ruhens findet sich häufig in Tarifverträgen oder kirchlichen Arbeitsvertragsregelungen für die Fälle des Bezugs einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit, wie z.B. in § 35 AVR DW-EKD oder in § 34 KAVO EKD-Ost. Für diese Fälle ist ebenfalls häufig, wie auch in § 17 BEEG, geregelt, dass der Urlaubsanspruch sich um 1/12 pro Monat des Ruhens mindert, so z.B. in § 27 Abs. 2, c KAVO EKD-Ost oder in § 28 Abs. 4 AVR DW-EKD. Insoweit stellt sich insbesondere nach den Entscheidungen des EUGH (EuGH vom 20. Januar 2009 –  C-350/06 und C-520/06 „Schultz-Hoff“ in NZA 2009, Seite 135; EuGH, Urteil vom 22. November 2011 – C-214/10 „Schulte“) die Frage, ob derartige Regelungen aufrecht zu erhalten bzw. gesetzliche Regelungen, wie im Falle des § 17 Abs. 1 BEEG noch anwendbar sind. Nach den oben genannten Entscheidungen des EUGH entsteht auch während einer Arbeitsunfähigkeit im gesamten Kalenderjahr, also dem Bezugszeitraum des Urlaubsanspruches der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub, der nach Ablauf des Bezugszeitraumes (Kalenderjahr) 15 Monate übertragen werden kann.

In seiner Entscheidung (BAG, Urteil vom 7. August 2012 – 9 AZR 353/10), derzeit lediglich als Pressemitteilung vorliegend, vom 7. August 2012 hat nunmehr in Anlehnung an die eben genannten EUGH-Entscheidungen das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass nicht nur im Falle der Arbeitsunfähigkeit während eines gesamten Kalenderjahres, sondern auch im Falle des Ruhen eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer befristeten Rente wegen Erwerbsminderung der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch durch eine tarifvertragliche Regelung nicht abbedungen werden kann. Dies bedeutet für langjährig arbeitsunfähige Arbeitnehmer, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch auch während eines ruhenden Arbeitsverhältnisses in jedem Kalenderjahr entsteht und § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz europarechtskonform so auszulegen ist, dass der gesetzliche Urlaubsanspruch eines Kalenderjahres erst 15 Monate nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres verfällt. Mit dieser Entscheidung sind tarifvertragliche Regelungen, die während des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses aufgrund einer Erwerbsminderungsrente auf Zeit für jeden Monat des Ruhens des Arbeitsverhältnisses den Urlaubsanspruch um 1/12 reduzieren, wegen der Nichtvereinbarkeit mit der oben genannten EUGH-Rechtsprechung nicht mehr anwendbar.
An den Entscheidungen des EUGH und des BAG müssen sich auch die individualrechtlichen Regelungen kirchlicher diakonischer Arbeitsvertragsordnungen, wie z.B. § 27 a, Abs. 4 AVR EKD, § 27 Abs. 2, c. KAVO EKD-Ost, die ebenfalls eine Reduzierung um 1/12 des Urlaubsanspruches für jeden Monat des Ruhens des Arbeitsverhältnisses vorsehen, messen lassen. Dies hat zur Folge, dass auch diese Regelungen keine Anwendung mehr finden können.

Es bleibt abzuwarten, wie die nationale Rechtsprechung und ggf. der EUGH entscheiden wird, wenn Arbeitnehmer unterstützt durch die Argumentation des Bundesarbeitsgerichts mit der hier zitierten aktuellen Entscheidung vom 7. August 2012 während der Elternzeit entstandene Urlaubsansprüche verlangen werden. Insoweit wird die Rechtsprechung klären müssen, ob die oben genannte BAG-Entscheidung auch auf andere Ruhenstatbestände, die mit einer Arbeitsunfähigkeit nicht einhergehen und der damit verbundenen Regelung zur Urlaubsanspruchsreduzierung übertragbar sind, wie z.B. § 17 BEEG.

Da Urlaubsansprüche in Natura grundsätzlich wegen des Erholungszweckes einen alternativen Urlaubsabgeltungsanspruch verdrängen, steht auch die Wirksamkeit von Regelungen der Urlaubsabgeltung von gesetzlichen Urlaubsansprüchen für den Fall des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses, wie z.B. in § 28 c AVR DW-EKD meiner Rechtsauffassung nach in Frage. Auch hier bleibt abzuwarten, wie zukünftig die Rechtsprechung entscheiden wird.

Mit dieser Information ist lediglich bezweckt, Ihnen einen Überblick über die aktuelle nationale Rechtsprechung hinsichtlich des Ruhens eines Arbeitsverhältnisses und des Entstehens von Urlaubsansprüchen zu vermitteln. Sollten sich im konkreten Falle Fragen bzw. Erläuterungsbedarf ergeben, stehe ich Ihnen selbstverständlich gerne zur Verfügung.