Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen und Urlaubsabgeltungsansprüchen

Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen und Urlaubsabgeltungsansprüchen (5/2012)

Annett Stute, Rechtsanwältin, Fachanwältin für Arbeitsrecht

Während langjähriger Arbeitsunfähigkeit soll auch während des jeweiligen Kalenderjahres der bezahlte Mindesturlaub von vier Wochen garantiert durch die Richtlinie 2003/88/EG entstehen und abweichend von § 7 Abs. 3 BUrlG bis zu 15 Monate nach Ablauf des Bezugszeitraumes, d.h. nach Ablauf des jeweiligen Kalenderjahres übertragen werden können.

Ein Urlaubsabgeltungsanspruch kann hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruches nur mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses für den bestehenden und nicht in Natura in Anspruch genommenen Urlaub entstehen. Es handelt sich mit dem Entstehen des Urlaubsabgeltungsanspruches um einen finanziellen Anspruch, der nicht wie der Urlaubsanspruch in Natura übertragbar ist, sondern wirksam vertraglich vereinbarten Verfallfristen und Verjährungsfristen unterliegt.

1. Grundsatz

Gem. § 7 Abs. 3 BUrlG ist der Urlaub im laufenden Kalenderjahr zu nehmen bzw. durch den Arbeitgeber zu gewähren. Eine Übertragung in das nächste Kalenderjahr ist gem. § 7 Abs. 3 BUrlG nur aus dringenden betrieblichen oder in der Person des Arbeitnehmers liegenden Gründen zulässig. Im Falle der Übertragung muss der Urlaub nach dem Bundesurlaubsgesetz in den ersten drei Monaten des Folgejahres, also bis zum 31. März genommen sein, ansonsten verfällt der Urlaub. Die Übertragungszeiträume sind in der Praxis häufig durch Verträge oder Tarifverträge über den 31. März des Folgejahres zu Gunsten der Arbeitnehmer ausgestaltet. (So § 26 Abs. 2 TVÖD; § 26 Abs. 2 TV-L; § 28 Abs. 7 AVR-EKD; § 27 Abs. 2 KAVO EKD-Ost)

2. Übertragbarkeit des Urlaubsanspruches/Urlaubsabgeltungsanspruches bei Arbeitsunfähigkeit

Soweit ein Arbeitnehmer wegen einer Arbeitsunfähigkeit seinen Urlaub im Rahmen der Ãœbertragungszeiträume nicht nehmen kann, galt nach der EuGH-Rechtsprechung im sogenannten Schultz-Hoff-Fall aus dem Jahre 2009  (EuGH vom 20. Januar 2009, C-350/06 und C-520/06 „Schultz-Hoff“ in NZA 2009, Seite 135) eine unbegrenzte Ãœbertragbarkeit, bis zum Ende des Kalenderjahres, in dem die Arbeitsunfähigkeit endete, soweit der verbleibende Zeitraum für den angesammelten Urlaubsanspruch nach Ende der Arbeitsunfähigkeit ausreichte. Spätestens jedoch mit Ende des Ãœbertragungszeitraumes (31. März gem. § 7 Abs. 3 BUrlG) des Folgejahres nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit sollte danach der Urlaubsanspruch verfallen. Dieser langfristig übertragbare Urlaubsanspruch sollte sich bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Urlaubsabgeltungsanspruch umwandeln.

Der EuGH begründete seine Entscheidung damit, dass Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG verlangt, dass die Mitgliedsstaaten die erforderlichen Maßnahmen treffen, damit jedem Arbeitnehmer ein bezahlter Mindesturlaub von 4 Wochen gewährt wird. Ein Urlaubsanspruch könne nur im Rahmen der nationalen Regelungen und Gepflogenheiten verfallen, wenn der Arbeitnehmer überhaupt die Möglichkeit zur Inanspruchnahme des Urlaubs gehabt habe. Dieses sei aber gerade bei einer Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers über den nationalgesetzlich geregelten Übertragungszeitraum (nach § 7 Abs. 3 BUrlG bis zum 31. März des auf das Bezugsjahr folgenden Jahres) nicht möglich.

Seit der sogenannten Schultz-Hoff-Entscheidung des EuGH vom 20. Januar 2009 verwarf das Bundesarbeitsgericht seine bis dahin geübte Rechtsprechung und übernahm die Rechtsprechung des EuGH.

So entschied der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 23. März 2010 – 9 AZR 128/09), dass der gesetzliche Mindesturlaub und der gesetzliche Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach § 125 SGB IX für das jeweilige Kalenderjahr bei über den Ãœbertragungszeitraum hinausgehender Arbeitsunfähigkeit weiter unbegrenzt übertragbar sei und bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Summe als Abgeltungsanspruch geltend gemacht werden kann, soweit die Ansprüche nicht verfallen seien.

Für über den gesetzlichen Mindesturlaubsanspruch einschl. des Zusatzurlaubsanspruchs für Schwerbehinderte hinaus gehende vertragliche bzw. tarifvertragliche Urlaubsansprüche gelte das gleiche, wenn nicht durch die Auslegung des Tarifvertrages oder des Vertrages deutlich würde, dass die Vertragsparteien für die die gesetzlichen Ansprüche übersteigenden Urlaubsansprüche eine andere Behandlung gewollt hätten. Der 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts verdeutlichte damit, dass die Vertragsparteien durchaus vertraglich den Ãœbertragungszeitraum der die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche übersteigenden Urlaubsansprüche befristen und begrenzen können. (BAG, Urteil vom 23. März 2010 – 9 AZR 128/09; BAG, Urteil vom 4. März 2010 – 9 AZR 183/09) Diesen Hinweis des 9. Senats wird man unabhängig von der im Folgenden dargestellten neuen Rechtsprechung des EuGH in der Vertragsgestaltung zukünftig nutzen können.

Diese Rechtsprechung führte bei langjährig Erkrankten zu einer unbegrenzten Anhäufung von Urlaubsansprüchen. Nach Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit ergab sich daraus ein weiterer umfangreicher Ausfall der zuvor Arbeitsunfähigen. Denn der ehemals arbeitsfähige Arbeitnehmer musste nunmehr zur Wahrung seiner Rechte die angesammelten Urlaubsansprüche bis zum Ablauf des Kalenderjahres oder, soweit dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe (ausschließlich des Grundes der Arbeitsunfähigkeit) vorlagen, bis spätestens zum Ende des gesetzlichen (§ 7 Abs. 3 BUrlG) oder vertraglichen Übertragungszeitraumes des auf das Ende der Arbeitsunfähigkeit folgenden Kalenderjahres in Natura nehmen bzw. musste der Arbeitgeber diesen Urlaub bis dahin gewähren. Soweit das Arbeitsverhältnis endete und der Urlaubsanspruch noch nicht in Natura gewährt wurde, kam es zu sehr hohen Abgeltungsforderungen der langjährig Arbeitsunfähigen.
Die praktische Konsequenz der Arbeitgeber war, so früh wie möglich Arbeitsverhältnisse bei längerdauernden Arbeitsunfähigkeiten zu beenden, um eine wirtschaftliche Überforderung zu vermeiden.

In Erkenntnis dieser Fehlentwicklung wurde die EuGH-Rechtsprechung von 2009 durch die EuGH-Rechtsprechung vom 22. November 2011 (EuGH, Urteil vom 22. November 2011 – C-214/10 „Schulte“) dahingehend konkretisiert bzw. korrigiert, dass ein unbegrenztes Ansammeln von bezahltem Urlaub während des Zeitraumes von Arbeitsunfähigkeit nicht dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Urlaub, nämlich Entspannung und Verfügung über Freizeit entspräche.

Der EuGH erklärte, dass eine einzelstaatliche Rechtsvorschrift oder Gepflogenheit, wie z.B. der der EuGH-Entscheidung zugrunde liegende Tarifvertrag, der den Ãœbertragungszeitraum von bezahltem Jahresurlaub auch für den Fall der Arbeitsunfähigkeit auf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres (Bezugszeitraum des Urlaubsanspruchs) beschränkt, nicht zu beanstanden sei und mit der europäischen Arbeitszeitrichtlinie vereinbar sei. Dies sei ein ausreichender Zeitraum, um dem Zweck, nämlich Entspannung und Verfügung über Freizeit gerecht zu werden, ohne die betroffenen Arbeitgeber zu überfordern. (EuGH, Urteil vom 22. November 2011 – C-214/10 „Schulte“)

Diese Entscheidung des EuGH fand bereits ihre Umsetzung in der nationalen Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg. (LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 21. Dezember 2011 –  10 Sa 19/11) Im Wege der Rechtsfortbildung hat das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg entschieden, dass eine Begrenzung der Ãœbertragung von Urlaubsansprüchen wegen Arbeitsunfähigkeit nicht vor-aussetze, dass eine tarifliche oder vertragliche Regelung diese Beschränkung der Ãœbertragbarkeit von Urlaubsansprüchen auf 15 Monate nach dem Bezugszeitraum festlege. Auch die nationalen Gerichte könnten durch ihre Entscheidungen eine solche Begrenzung der Ãœbertragbarkeit von Urlaubsansprüchen regulieren. Mit dieser Entscheidung begrenzt das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Ansprüche eines Klägers auf Urlaubsabgeltung auf die Ansprüche, die nicht verjährt waren und den Ãœbertragungszeitraum von 15 Monaten nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, nicht überschritten.
Beispiel:
Soweit also z.B. ein Arbeitnehmer in 2011 erkrankt und für das Kalenderjahr 2011 noch keinen Urlaub genommen hat, ist der Urlaubsanspruch aus 2011 nach der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg gestützt auf die EuGH-Rechtsprechung vom 22. November 2011 lediglich bis zum 31. März 2013 übertragbar und würde danach untergehen mit der Folge, dass dieser Urlaubsanspruch auch nicht mehr nach dem 31. März 2013 bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umgewandelt werden könnte.

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Insoweit bleibt abzuwarten, ob sich das Bundesarbeitsgericht mit dieser Entscheidung auseinandersetzen wird und ob es die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg dahingehend bestätigt, dass die Begrenzung der Ansammlung von Urlaubsansprüchen auf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Urlaubsanspruch entstanden ist, generell durch die Gerichte stattfinden kann.